DAS WILDE TREIBEN DER MIKROBEN

Die Europäische Dermatologengesellschaft, kurz EADV (European Academy of Dermatology and Venereology), ist die wissenschaftliche Vereinigung der Hautärzte Europas. Im Rahmen der 30. Jahrestagung im Herbst 2021 informierte die Gesellschaft über neueste Entwicklungen auf dem Gebiet der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Eines der spannenden Highlights waren neue Forschungsergebnisse zur Mikrobiomforschung im Zusammenhang mit der atopischen Dermatitis.

Das Hautmikrobiom sanieren

Als Mikrobiom bezeichnet man die Summe aller Mikroben in einem bestimmten Umfeld. Auch auf der Haut gibt es ein Mikrobiom. Das Hautmikrobiom besteht aus Pilzen, Viren, Urbakterien, aber vor allem Bakterien. Ein Merkmal der atopischen Dermatitis (AD) ist unter anderem die Besiedelung der Haut mit krankheitsmachenden Keimen. Aufgrund dieser Tatsache haben Wissenschaftler vor Jahren begonnen, das Hautmikrobiom näher unter die Lupe zu nehmen. 

In Harmonie leben

Prof. Dr. Richard L. Gallo von der University of California betonte, dass ein gesunder Organismus in Harmonie mit einem ausgewogenem Mikrobiom lebt. Doch das ist keineswegs immer so. Bei entzündlichen Hauterkrankungen wie der atopischen Dermatitis oder Psoriasis beobachtet man eine abweichende Zusammensetzung der Mikroben. Denn das Mikrobiom hat nicht nur günstige Auswirkungen. Vielmehr können sich fast alle Mikroben unter bestimmten Umständen auch pathogen verhalten. Dabei sind unterschiedliche Interaktionen bekannt und relevant: Von besonderem Interesse für die Mikrobiomforschung sind die Interaktionen zwischen Kommensalen und Wirt. Kommensalen sind kleinste Organismen, die sich im Gegensatz zum Parasiten von den Nahrungsrückständen eines Wirtsorganismus ernähren ohne ihn zu schädigen. Im Gegenzug kann der Wirt sogar durchaus profitieren. Verkompliziert wird laut Prof. Gallo die Interaktion dadurch, dass sie über mehrere Organe laufen kann. So kann beispielsweise das Mikrobiom der Haut auch den Darm beeinflussen. In der Dermatologie stellt sich nun die Frage, ob man das Hautmikrobiom so beeinflussen kann, dass es dem an atopischer Dermatitis erkrankten Menschen Vorteile bringt. 

Von „guten“ und „schlechten“ Bakterien

Seit vielen Jahren sammelt man Informationen über die Zusammenhänge zwischen dem Mikrobiom und der atopischen Dermatitis. Seit den 1970er-Jahren ist bekannt, dass eine Besiedelung mit dem Bakterium Staphylococcus aureus mit einer schweren Ausprägung der Erkrankung assoziiert ist und dieser Keim die Entzündung vorantreibt. Faktum ist darüber hinaus, dass die gestörte Barrierefunktion der Haut und Auffälligkeiten der Immunantwort in der Haut bei der atopischen Dermatitis die pathologische Besiedelung überhaupt erst ermöglichen.

Ökologisches System aus dem Gleichgewicht

Die unphysiologische Besiedelung der Haut bei atopischer Dermatitis ist also nicht nur eine Folge eines Immundefekts auf Seite des Wirts, sondern auch ein ökologisches Problem. Prinzipiell gibt es gute und schlechte Bakterien auf unserer Haut. Von großem Interesse ist, dass bestimmte Stämme von Kommensalen wie Staphylococcus epidermidis and Staphylococcus hominis, also die „guten“ Bakterien, imstande sind sind, antimikrobielle Peptide zu produzieren, die den krankheitsmachenden, „bösen“ Keim Staphylococcus aureus selektiv abtöten. Diese „guten“ Bakterien sind bei der atopischen Dermatitis leider nur eingeschränkt vorhanden. Durch Einbringen bestimmter günstiger Bakterien in das Hautmikrobiom könnte es zu einer Stabilisierung bzw. Regeneration kommen. Dabei müsste man, um eine stabile Besiedelung der Haut zu erreichen, ein Bakterium wählen, das an die menschliche Haut angepasst ist und daher unter normalen physiologischen Bedingungen dort lebt, so Gallo. 

Licht am Horizont

Erste Studien führten zu einem Staphylococcus hominis A9, der eine ausgeprägte Neigung zur Hemmung von Staphylococcus aureus erkennen ließ. Dieser Organismus wurde mittlerweile in einer Phase-I-Studie an Patienten mit atopischer Dermatitis untersucht und erwies sich dabei als sicher und gut verträglich. Man beobachtete in der Studie weniger Symptome in Zusammenhang mit der Grunderkrankung. Die Besiedelung mit den pathogenen Keimen nahm ab. Man könne aus diesen ersten vielversprechenden Daten zumindest ein Potenzial für die Behandlung der atopischen Dermatitis durch Beeinflussung des Mikrobioms ableiten, meint Prof. Gallo auf dem Kongress. 

Abschließend erklärte Prof. Gallo, dass es derzeit auch sehr gute relativ neue Therapieansätze mit modernen Biologika gibt, und dass eine Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Dupilumab nachweislich bei Patienten mit atopischer Dermatitis zu einer Normalisierung des Hautmikrobioms führt. 

Beitrag: Dr. Christine Dominkus