Alles hat zwei Seiten: Sonne und das Herz

Es ist nicht alles Gold was glänzt, eben so wenig gibt es nur negative Aspekte. Vor 100 Jahren war die Sonne hauptsächlich als Heilbringer bekannt – heute ist man sich den Gefahren bewusster.

Heutzutage hört und liest man ständig Sätze wie „Bitte schütze dich vor der Sonne, trage Kopfbedeckung und langärmelige Kleidung, verwende Sonnenbrillen und Produkte mit hohem Lichtschutzfaktor“. Die Sonne nur zu verteufeln ist jedoch ebenso falsch, wie sich ihr schutzlos auszusetzen, sind Dermatolog:innen aufgrund der neuesten Studienlage überzeugt.

Wir brauchen die Sonne

UV-Licht hat auch seine guten Seiten. Ohne Sonnenlicht kein Leben. Ja sicher, ein Zuviel davon verursacht lichtbedingte Hautalterung, Sonnenbrände und Hautkrebs. Dennoch scheint es an der Zeit, auch die positiven Seiten der Sonnenstrahlen zu beleuchten. Die Sonne wärmt, spendet gute Laune, hebt die Stimmungslage ganz allgemein, wird therapeutisch eingesetzt. Ganz aktuell ist jedoch der Zusammenhang zwischen der Herz-Kreislauf-Gesundheit und dem Sonnenlicht: Denn neuesten Daten zufolge ist ein völliges Vermeiden von UV-Strahlung mit einer deutlichen Steigerung von (Herzkreislaufbedingten) Todesfällen verbunden. Verantwortlich dafür scheint ein Schlüsselmolekül zu sein, nämlich das in der Haut gespeicherte und von der UV-Strahlung freigesetzte Stickstoffmonoxid (NO).

Blutdruck von der Jahreszeit abhängig?

Allgemein ist bekannt, dass UV-Strahlung einen Risikofaktor für weißen und schwarzen Hautkrebs darstellt. Gefährlich ist dabei vor allem das Melanom. Doch Herzkreislauf-Erkrankungen sind ebenso ein Thema des zunehmenden Alterns. Interessanterweise gibt es einen Zusammenhang zwischen Blutdruck, dem Breitengrad und der Jahreszeit: Je näher die geografische Lage eines Landes zum Äquator, desto niedriger der durchschnittliche Blutdruck der Bevölkerung. So soll der Blutdruck im Sommer deutlich niedriger als im Winter sein. Heißt die neue Devis nun: Auf in die Sonne in den Wintermonaten?

NO der Haut: Vasodilatation unter UV-Bestrahlung

Das von UV-Licht freigesetzte Stickstoffmonoxid (NO) wirkt auf die Arterien gefäßerweiternd, was als Protektion für die Herzgesundheit zu betrachten ist. Diverse Studien beschäftigen sich daher mit der Analyse des Zusammenhangs von Herzgesundheit, Blutdruck und Sonnenexposition. So wurde in Großbritannien zwischen Winter und Sommer ein Unterschied im systolischen Blutdruck festgestellt. Und genau diese Senkung des systolischen Blutdrucks um 6mmgHg entspricht einer Reduktion von Herzkreislaufbedingten Erkrankungen um 20–25%.

Pest oder Cholera?

2016 ergab eine Studie an 30000 Frauen, dass jene mit dem höchsten UV-Score von 4 zwar deutlich öfter an Melanomen erkrankten, jedoch eine um die Hälfte geringere Sterblichkeit durch Herz-Kreislauferkrankungen aufwiesen als Frauen mit Sonnenexposition 0. Dass Sonnenanbeterinnen höhere Messwerte von Vitamin D im Blut aufweisen, liegt nahe. Je weiter südlich Menschen leben, desto höher sind ihre Vitamin-D-Werte; und pro 300km weiter südlich ist eine 6%ige Reduktion der Gesamtsterblichkeit und eine 9%ige Reduktion der Todesfälle verursacht durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden.

Für Experten scheint klar: Man muss das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Sonnenlicht besser einstufen und neu evaluieren. Denn alles hat seine positiven und negativen Seiten. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Keine Wirkung ohne Nebenwirkung. Ein Neuüberdenken sei also an der Zeit.

Bericht: Dr. Christine Dominkus

Quelle: Artikel von Dr. Lydia Unger-Hunt aus Leading Opinions Dermatologie & Plastische Chirurgie, /Vortrag «Sunscreens for all?» von Univ.-Prof. Dr. Richard B. Weller im Rahmen des Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV), 6. September 2023, Lausanne.