Haarausfall ist kein Einzelschicksal

Sichtbarer Haarverlust kann zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität, des Soziallebens, des Selbstempfindens und des Selbstwertgefühls führen und mit Stigmatisierungsgefühlen der betroffenen Person einhergehen. Mediziner kennen verschiedene Formen von Haarausfall (Alopezie): Haarausfall, der entzündlich bedingt ist, Kopfhauterkrankungen, die in weiterer Folge zu Haarausfall führen und Anomalien des Haarschafts.

Verschiedene Formen von Haarausfall

Ganz allgemein unterscheidet man in nicht vernarbenden und vernarbenden Haarausfall. „Zum nicht vernarbenden Haarausfall gehören die androgenetische und diffuse Alopezie sowie der kreisrunde Haarausfall, die Alopecia areata, und andere weniger bekannte Formen, die zu den vernarbenden Formen gehören“, erklärt Haarexperte Prof. Dr. Tobias W. Fischer von der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Kepler Universitätsklinikum, Linz.

Androgenetische Alopezie

Die androgenetische Alopezie tritt bei etwa jedem 2. Mann im Laufe des Lebens auf, während ungefähr 10–20 % der Frauen betroffen sind. Ursächlich liegt beim Mann eine erblich bedingte erhöhte Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron in den betroffenen Haarfollikeln in der Schläfen- und Tonsurregion vor. In frühen Stadien beginnen sich vor allem die „Geheimratsecken“ zu lichten. Später entwickeln sich eine Lichtung am oberen Hinterkopf (Tonsurbereich) und im Maximalstadium eine Glatze mit einem Resthaarkranz am Hinterkopf. Diese Ausprägung findet sich bei 80–90% der Männer als typisch männliche Form oder „male pattern“, während bei der Frau zu 80–90% die „female pattern“- auftritt. Bei der Frau kommt es selten zur typischen Glatze, sondern es zeigt sich eine diffuse Lichtung im Oberkopfbereich, die zwar im Verlauf zunehmen kann, ohne dass eine völlige Kahlheit entsteht. Hier führt man den Haarverlust auf relativen Androgenüberschuss, d.h. ein Zuviel an männlichen Hormonen zurück.

Diffuser Haarausfall

Der diffuse Haarausfall (Alopecia diffusa) ist ein nicht sofort immer sichtbarer, aber verstärkter Ausfall der Kopfhaare. Hier kommt es zum Verlust von über 100 Haaren pro Tag. Das Erscheinungsbild der Alopecia diffusa zeigt sich wie der Name schon sagt, in einem weitläufig über das gesamte Kopfhaar verteilten Haarausfall. Diese Form kann bei beiden Geschlechtern auftreten. Die Ursachen können eine Mangelsituation am Haarfollikel sein, auch gibt es eine Reihe von schädlichen Substanzen und Medikamente, welche Ursache sein können. So zum Beispiel Stoffwechselerkrankungen, Eisenmangel, Vitaminmangel, Proteinmangel, Operation mit Vollnarkose, schwere systemische Entzündungen (z.B. Lungenentzündung, Grippe) oder auch Tumore. Eine Vielzahl von Medikamenten kann ebenfalls eine diffuse Alopezie auslösen, wie z.B. ACE-Hemmer, Betablocker, Retinoide, Schilddrüsenmedikamente, Antibiotika, Schmerzmittel und vor allem die Chemotherapie. Auch nach Covid-19 wurden Fälle von diffusem Haarausfall 2–3 Monate nach der Erkrankung bekannt. Die gute Nachricht: in den meisten Fällen des diffusen Haarverlusts wachsen die Haare wieder nach. Anders als bei der androgenetischen Alopezie, wo der Haarverlust sich nicht spontan bessert. So dauert es in der Regel drei bis sechs Monate, bis die Haare wieder nachgewachsen sind.

Kreisrunder Haarausfall

Kreisrunder Haarausfall (Alopecia areata) ist eine Form des Haarausfalls, bei der klar abgegrenzte Bereiche der Kopfhaut spontan kahl werden. Die Erkrankung tritt oft plötzlich und völlig unerwartet auf. Auf einmal zeigen sich kleine, häufig kreisrunde, kahle Stellen, wo vorher noch Haare zu sehen waren. Bei den meisten Betroffenen ist nur das Kopfhaar befallen und es bilden sich beim kreisrunden Haarausfall nur einzelne haarlose „Inseln“. In seltenen Fällen können aber auch Augenbrauen, Wimpern, Bart oder andere behaarte Körperteile vom Haarverlust betroffen sein. Die Ursache des kreisrunden Haarausfalls ist nicht genau bekannt, weshalb die Behandlung bis heute eine Herausforderung ist. Man nimmt an, dass das körpereigene Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt. Vermutlich richtet es seine Abwehrkräfte nicht gegen Krankheitserreger, sondern gegen den eigenen Körper, genauer gesagt: gegen die Haarwurzel (Follikel). Hier entstehen Entzündungen, die das Haarwachstum beeinträchtigen und schließlich zum Haarverlust führen.

Kreisrunder Haarausfall befällt Männer und Frauen gleichermaßen. Es können alle Altersgruppen betroffen sein, auch Kinder. Überdurchschnittlich oft sind es aber junge Erwachsene, die an kreisrundem Haarausfall erkranken. Alopecia areata ist keine seltene Krankheit: Etwa 1 – 2 Prozent der Bevölkerung erhält diese Diagnose im Laufe des Lebens, die Erkrankung tritt gehäuft familiär auf und hat als Begleitkrankheiten die atopische Dermatitis, Autoimmun-Schilddrüsenerkrankungen (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow) und die Weißfleckenkrankheit Vitiligo.

Folgende 6 Faktoren verschlechtern die Prognose:

  • Erstauftreten bereits im Kindesalter,
  • ausgedehnter Befall und lange Dauer,
  • Haarausfall im Nackenbereich (Ophiasis-Typ),
  • Nagelbeteiligung (Tüpfel- und Sandpapiernägel),
  • Begleiterkrankungen atopische Dermatitis und Autoimmunerkrankungen,
  • positive Familiengeschichte.

Der Verlauf und die Dynamik Erkrankung sind unterschiedlich. Eine spontane Heilung tritt bei circa einem Drittel der Patienten nach 6 Monaten und bei 50–80% nach 12 Monaten ein.

Lichen ruber follicularis

Bei der Knötchenflechte (lat. Lichen ruber planus) handelt es sich um eine entzündliche, nicht ansteckende Hauterkrankung, die meist im mittleren Erwachsenenalter auftritt. Im Rahmen der Knötchenflechte kann es in seltenen Fällen zu vernarbenden Haarverlust kommen. Man sieht dann stecknadelkopfgroße rötliche Knötchen und Schuppenkrausen um die Haarfollikel herum, so dass sich die Haut wie ein Reibeisen anfühlt (Lichen ruber follicularis). Beim Befall der Kopfhaut kommt es durch Zerstörung und Vernarbung der Haarfollikel zu einem dauerhaften Haarverlust. Um dies frühzeitig und effizient aufzuhalten, muss anfangs meist Kortison – bei leichten Formen äußerlich als Lösung oder bei schwereren Formen als Tablette – eingesetzt werden. Greift dies nicht, muss über längere Zeit eine Erhaltungstherapie beispielsweise mit Hydroxychloroquin eingenommen werden.

Frontal fibrosierende Alopezie (Kossard`sche Erkrankung)

Die frontal fibrosierende Alopezie ist eine Erkrankung der Kopfhaut, die durch eine pathologische Immunreaktion auf Staphylokokkus aureus eine chronische, teils nässend eitrige Entzündung der Haarfollikel verursacht und dadurch zu einer schleichenden Zerstörung des Haarfollikels mit folgendem Haarausfall führt. Betroffen sind vor allem Frauen nach den Wechseljahren. Durch die Zerstörung der Haarfollikel kommt es zu einem fortschreitenden und unwiederbringlichen Haarverlust, typischerweise entlang des Stirnhaaransatzes. Zurück bleiben kahle, glatte Hautareale, in deren Randbereich als Zeichen der aktiven Entzündung eine kleinfleckige Rötung und Schuppung der Kopfhaut um die verbliebenen Haarfollikel zu sehen sein kann. Die Auslöser der Entzündung sind nicht vollständig geklärt.

Diagnose

Von wesentlicher Bedeutung ist die Zeitdynamik bei Assoziation mit kausalen Ereignissen. Eine detaillierte Anamnese mit exaktem Herausarbeiten des Beginns, der Anfangs- und Verlaufsdynamik des Haarausfalls sowie Ansprechen auf möglicherweise bereits durchgeführte Therapien und deren Dauer, Frequenz und Dosierung ist Kernstück einer guten klinischen Diagnostik und gleichzeitig wesentliches Element des empathischen Erfassens der bisherigen Leidensgeschichte.

Die Frage nach Juckreiz, Brennen und Schmerzen der Kopfhaut und deren Intensität auf einer Skala von 0–10 gehört dazu. Labordiagnostik ist notwendig bei v.a. Alopecia diffusa. Bereits wenige Laborwerte reichen aus, um bei Patient:innen mit diffusem Haarausfall die wesentlichen Ursachen zu bestimmen. Neben Differenzialblutbild, Leber-, Nierenwerten, Prolaktin, Vitamin B12, Vitamin D3 sowie Eisen und dem Ferritin-Wert zur Bestimmung eines möglichen (relativen) Eisenmangels, spielen vor allem der TSH-Wert und die Schilddrüsenautoantikörper eine entscheidende Rolle.

Die genaue klinische Untersuchung der gesamten behaarten Kopfhaut mit Zupftest wird ergänzt durch die Auflichtmikroskopie. Zur Bestimmung der Haardichte (Haaranzahl n/cm2) bei diffusem und kreisrundem Haarausfall steht der TrichoScan als objektive Messmethode zur Verfügung.

Behandlungsmanagement

„Aufgrund des hohen Leidensdruckes der Betroffenen sieht sich der behandelnde Arzt häufig einer hohen Erwartungshaltung gegenüber. Neben der Kenntnis der wesentlichen Formen von Haarerkrankungen und wie man sie diagnostiziert und behandelt, sind daher eine empathische Herangehensweise und die Langzeitbetreuung wesentlich. Die Patienten ernst zu nehmen, sie genau zu befragen und zu untersuchen ist dafür ein wichtiges Prinzip; die Betroffenen für die Therapie, die nicht zum sofortigen Erfolg und zur vormals üppigen Frisur führt, zu gewinnen ein zweites. Sie zur konsequenten und regelmäßigen Durchführung der Therapie zu motivieren ist das dritte Prinzip und sie an die Therapie zu binden das vierte. Auch wenn der Haarausfall häufig stark und schockierend ist, stellt die auf volle Genesung innerhalb von 3–6 Monaten eine positive Tatsache dar, die man sich unbedingt vor Augen führen sollte. Die Therapie vieler Haarerkrankungen erstreckt sich von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten und Jahren und benötigt ein stabiles Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis, um die bestmöglichen Therapieerfolge zu erzielen“, ist Prof. Fischer überzeugt.

Redaktion: Dr. Christine Dominkus
Vidiert: Prof. Dr. Tobias W. Fischer, Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Kepler Universitätsklinikum, Linz

E-Mail: Tobias.Fischer@kepleruniklinikum.at