Kann man Haare operieren? Man kann!

Bleibender Haarausfall ist meist erblich bedingt. Häufig bei Männern, aber auch bei etwa 30% bis 40% der Frauen kommt es zu dauerhaftem Haarverlust im Bereich des Haaransatzes an der Stirn, den Geheimratsecken und am Hinterkopf.

Die Haare des Haarkranzes sind von dieser Art des Haarausfalls nicht betroffen. Diesen Umstand hat sich die moderne Haarchirurgie zunutze gemacht. Durch Entnahme der Haare aus dieser sogenannten „Safe Zone“ und Umverteilung – die Eigenhaartransplantation – entsteht ein dauerhaftes Ergebnis. Dr. Norbert Kohrgruber, Facharzt für Dermatologie und Venerologie in Wien und Tirol, gibt Auskunft über die Techniken der Haartransplantation, die sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt haben. Er verpflanzt ausschließlich eigenes Haar. Die erzielten Ergebnisse sind natürlicher geworden und auch die Behandlungskosten gefallen. Kunsthaar gehört der Vergangenheit an. 

Worin besteht Ihr Zugang zur Haartransplantation?

Dr. Norbert Kohrgruber: Ich verfolge als Hautarzt einen medizinischen Ansatz. Ich möchte etwas Sinnvolles für meine Patienten tun. Zu allererst muss man die richtige Indikation stellen, denn es gibt verschiedene Ursachen für Haarausfall, das benötigt Zeit und gut informierte Patienten. Der sogenannte androgenetische Haarausfall des Mannes, der erblich bedingt ist und in der typischen Glatze mündet, betrifft in einigen Fällen auch Frauen, hier als „female pattern hair loss“ bezeichnet. Dies ist ein noch viel zu wenig beachtetes Phänomen. Der Haarausfall ist ein herausforderndes Gebiet und wird von vielen meiner Kollegen in der Praxis nicht gerade mit Enthusiasmus behandelt. 

Warum ist das so? 

Dr. Norbert Kohrgruber: Haarausfall ist zunächst eher komplex, da es viele verschieden Ursachen dafür geben kann. Auch werden die Betroffenen oft als schwierig empfunden, weil sie ja meist nicht schwer „krank“ sind, sondern der Haarausfall als etwas Kosmetisches angesehen wird. Und zu guter Letzt haben wir leider auch wenig Möglichkeiten, den Haarausfall in unserer täglichen Praxis zu behandeln. Haarausfall ist ein klassischer Fall von „lazy medicine“ Es gibt wenig gute Forschung und Daten in diesem Bereich. Dies hängt auch damit zusammen, dass wir Mediziner das in diesem Zusammenhang auftretende seelische Leid nicht ernst genug nehmen. Ich möchte das Bewusstsein schaffen, dass man heutzutage etwas dagegen tun kann. 

Welchen Stellenwert hat Haartransplantation heute? 

Dr. Norbert Kohrgruber: Haartransplantation ist ein Feld, in dem sich kommerzielle und medizinische Kräfte in einem merkwürdigen Widerstreit befinden. Ich habe ähnliches in keinem anderen Bereich erlebt, in dem ich bisher tätig war. Vor allem in und aus der Türkei wird extrem aggressiv geworben. Den betroffenen Patienten scheint dies gar nicht bewusst zu sein. Manche wissen auch nicht, dass wir in Österreich hochklassige Haartransplantationen anbieten. Sie sind sogar der Meinung, eine Haartransplantation wäre nur in der Türkei möglich. Ich bin ein begeisterter Mediziner und mir ist es daher sehr wichtig, dass meine Patienten die bestmögliche medizinische Behandlung auf wissenschaftlicher fundierter Basis erhalten. Dafür ist, wie auch in allen anderen Bereichen der Medizin, intensive Fortbildung und Ausbildung unseres Teams notwendig. Haartransplantation ist eine Teamleistung. Jede einzelne Mitarbeiterin ist wichtig für das Endresultat. Man übernimmt eine große Verantwortung für die Menschen, die sich tagtäglich in den Spiegel schauen und für den Rest ihres Lebens zufrieden sein sollen. Deswegen bemühen wir uns um das bestmögliche, natürliche Ergebnis. 

Dennoch fahren immer wieder Personen zur Haartransplantation ins Ausland, z.B. Türkei. Wie sehen Sie das?

Dr. Norbert Kohrgruber: Das ist ein schwieriges Thema. Meist ist der günstigere Preis ausschlaggebend. Wir sehen mittlerweile sehr viele Patienten in unserer Praxis, die sehr unzufrieden sind mit den Ergebnissen der Haartransplantation in der Türkei sind. Das kann zu schweren Folgen für deren psychisches und soziales Wohlbefinden führen. Von den ausländischen Kliniken wird meist später keine Hilfe mehr angeboten. Manchmal sehen wir auch gravierende technische Fehler in der Durchführung. Ich habe Patienten in meiner Praxis behandelt, die nach einer solchen schiefgegangenen Haartransplantation in der Türkei selbst im Sommer nur mit Kappe aus dem Haus gegangen sind. Korrekturen, die wir bei uns mittlerweile regelmäßig durchführen sind schwierig und aufwendig. 

Früher waren Haartransplantationen auf den 1. Blick erkennbar. In welche Richtung hat sich die Haartransplantation weiterentwickelt?

Dr. Norbert Kohrgruber: Das ist ein wesentlicher Punkt, den Sie hier ansprechen. Die Technik der Haartransplantation hat sich in den letzten 10 Jahre sehr verfeinert. Denn das Ergebnis von Haartransplantationen soll natürlich aussehen. Wir haben Patienten, die jetzt Haare haben, wo früher eine offensichtliche Glatze war. Sie machen die Erfahrung, dass Freunde zwar irgendeine Veränderung bemerken, und zum Ausdruck bringen, dass sie gut aussehen, aber nicht dahinter kommen was verändert ist. Und das ist die schönste Bestätigung überhaupt für die Haartransplantation. Ich freue mich sehr über solche Erzählungen, weil hier bestätigt wird, dass wir im Kern unser Ziel erreicht haben, nämlich die vollständige Natürlichkeit des Ergebnisses. Der Patient ist in diesem Fall überglücklich. Auf der anderen Seite sehen wir, dass oft – insbesondere in der Türkei durchgeführte Haartransplantationen – an diesem Ziel vorbeigehen. Wie mit dem Lineal gezogene Haarlinien, Multigrafts und viel zu dicke Haare in den ersten Haarreihen führen zu einem auffällig unnatürlichen Erscheinungsbild. 

Weiters haben wir dank der fast ausschließlich angewandten FUE- Methode auch ein viel besseres Erscheinungsbild im Entnahmebereich, meist im Bereich des Hinterkopfes. Wo früher nach der angewandten Streifenmethode (FUT, Strip) eine sichtbare Narbe war, sehen wir heute in den meisten Fällen keinen Unterschied zum Erscheinungsbild vor dem Eingriff. Nach der Haarentnahme können die Haare in diesem Bereich auch sehr kurz getragen werden. 

Verwenden Sie ausschließlich Eigenhaar? Wird überhaupt noch Kunsthaar verwendet?

Dr. Norbert Kohrgruber: Wir verwenden ausschließlich Eigenhaar. Kunsthaar wird von manchen verwendet, die Ergebnisse waren für mich bisher nicht überzeugend. Ich würde derzeit noch davon abraten. 

Von wo werden die Haare entnommen? 

Dr. Norbert Kohrgruber: Die Haare werden in der Regel vom Hinterkopf entnommen. Das ist der beste Spenderbereich. Erstens sind die Haare dort meist sehr schön und dicht. Auch können wir dort kleinere Einbußen von Dichte am ehesten verkraften. Falls in diesem Bereich nicht mehr genügend Haare vorhanden sind, können wir auch vom seitlichen Kopf, vom Bart oder von verschiedenen Körperbereichen Haare entnehmen. Man muss in diesem Fall genau aufklären, dass diese Haare sich anders verhalten, nämlich langsamer wachsen, nicht so lang werden oder auch eine andere Optik haben als die Kopfhaare. Wir verwenden Körperhaare oft zur Verdichtung, wenn wir nicht mehr genug Spenderhaare am Kopf vorfinden. Bei solchen Verdichtungen können wir in vielen Fällen sehr zufriedenstellende Ergebnisse erzielen. 

Welche Bereiche sind für die Haarchirurgie bei Frauen relevant? Augenbrauen? 

Dr. Norbert Kohrgruber: Die Wiederherstellung von Augenbrauen erfolgt durch Transplantation von Kopfhaaren in die Augenbrauenregion. Die so eingepflanzten Haare werden länger als die vorhandenen Augenbrauenhaare. Wir sehen aber, dass es für die Damen kein Problem darstellt, wenn sie diese neu eingepflanzten Haare von Zeit zu Zeit trimmen müssen.

Welche Rolle spielen Verteilung und die Wuchsrichtung der Haare?

Dr. Norbert Kohrgruber: Das ist wesentlich für das natürliche Ergebnis. Wenn noch Haare vorhanden sind, können wir uns an das individuelle natürliche Muster anpassen und die transplantierten Haare so einfügen, dass kein Unterschied zu den vorhandenen Haaren besteht. Falls keine Haare mehr in bestimmten Regionen da sind, gibt es Regeln, wie man z. B einen Wirbel im Bereich der Tonsur macht, oder wie Haare im Bereich der sogenannten Geheimratsecken einwachsen. Das sieht dann auch völlig natürlich aus. 

Sieht man nach der Eigenhaartransplantation, dass die Haare verpflanzt wurden? Muss man sie besonders pflegen?

Dr. Norbert Kohrgruber: Nein, denn gute ästhetische Ergebnisse sind solche, die nicht als Resultat eines Eingriffes erkennbar sind. Durch die genaue Analyse der natürlichen Haarsituation können wir nun Resultate auf sehr hohem Niveau erreichen. Verpflanzte Haare sind nach der Haartransplantation gesund und dauerhaft. Regelgerecht transplantierte Haareinheiten produzieren lebenslang gesundes Haar. Nach Abschluss der Wundheilung wachsen aus den verpflanzten Haarwurzeln bereits nach wenigen Monaten neue, gesunde Haare, die erhalten bleiben. Man kann in die Sauna gehen, föhnen, färben, Dauerwellen, alles wie mit dem natürlich gewachsenen Haar.

Werden heute noch Körperhaare entnommen? Besteht dann die Gefahr, dass man „am Kopf zunimmt“, wenn Haare aus dem Bauch entnommen wurden?

Dr. Norbert Kohrgruber: Wir verwenden oft auch Körperhaare für unsere Haartransplantationen am Kopf. Wenn man diese Haare strategisch gut einsetzt, kann man sehr schöne Ergebnisse damit erzielen. Wir haben bisher noch nicht erlebt, dass jemand am Kopf einen Bauch bekommen hat. 

Welche Techniken wenden Sie für welche Bereiche an? Welche Vor- und Nachteile haben die einzelnen Techniken?

Dr. Norbert Kohrgruber: Die Follicular Unit Transplantation (FUT) Methode/Strip-Technique/Streifenmethode

Bei der FUT-Methode wird am Hinterkopf ein Streifen entnommen. Während der Entnahme und dem anschließenden Verschluss haben die Patienten keine Schmerzen. Die moderne Haarchirurgie erlaubt in den meisten Fällen den Verschluss der Wunde, der in einer nahezu narbenfreien Abheilung resultiert. Die angewandte Technik nennt sich ’Trichophytic Closure’. Diese Methode war noch vor einigen Jahren der goldene Standard, wird aber heute kaum noch angewendet, weil die FUE-Methode viele Vorteile hat, bei kaum relevanten Nachteilen, wie z. B. die Kürzung der Haare am Hinterkopf. 

Bei der FUE-Technik werden die follikulären Einheiten einzeln entnommen. Durch diese mikrochirurgische Methode entstehen keine sichtbaren Narben am Hinterkopf. FUE stellt aktuelle Methode der Wahl dar. Sie ist sehr sicher und führt zu nicht oder kaum wahrnehmbaren Veränderungen im Entnahmebereich. Ich bin mir sicher, dass viele Menschen sich heute aufgrund der Vorteile dieser Methode eher zur Haartransplantation trauen. Für viele meiner Patienten käme eine andere Methode nicht in Frage. Immer mehr Menschen entscheiden sich für dieses Verfahren der Eigenhaartransplantation.

Bei der Body Hair Transplantation – BHT werden die Haare von behaarten Körperarealen entnommen. Die beste Entnahmestelle ergibt sich aus der individuellen Anlage der Patienten. Es können Haare aller Regionen verwendet werden. Um ein ästhetisches Ergebnis zu erzielen, muss allerdings die Beschaffenheit der Haare berücksichtigt werden. Es können auch mit der BHT sehr natürliche Ergebnisse erzielt werden.

Gibt es auch Barthaarverpflanzungen? 

Dr. Norbert Kohrgruber: Ja, auch der Bart oder die Koteletten können durch Haartransplantation verbessert oder wiederhergestellt werden.

Muss man die Haare für die Haartransplantation rasieren?

Dr. Norbert Kohrgruber: Wir führen die Haartransplantation bei ungekürzten Haaren am Oberkopf durch. Das heißt, die Betroffenen können sehr schnell wieder ihren gesellschaftlichen Tätigkeiten nachgehen. Sie sind in der Regel nach 10 – 14 Tagen wieder voll gesellschaftsfähig. 

Das Interview führte Dr. Christine Dominkus.

Foto: Dr. Kohrgruber cc: privat